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Qassem Soleimani als Symbol im Kampf gegen Unterdrückung

17:21 - January 12, 2022
Nachrichten-ID: 3005338
Schahid Qassem Soleimani ist im Westen eine umstrittene Figur. Was hat es mit dieser Persönlichkeit auf sich, die von den einen als Terrorist und von anderen als Freiheitskämpfer angesehen wird? Was zeichnete ihn aus und was stört seine Feinde an ihm?

Ein Beitrag von Offenkundiges.de

Symbolfiguren für den Kampf um Gerechtigkeit

Etwa ein Jahr nach seiner Ermordung in Bolivien wurde der argentinisch-kubanische Guerillakämpfer Che Guevara, der einen bedeutenden Anteil am Sieg der kubanischen Revolution 1959 hatte, zur Ikone der 1968er Studentenbewegung und ist bis heute in der westlichen Hemisphäre (insbesondere natürlich für die politische Linke) zu einer Symbolfigur für den Kampf gegen Imperialismus, Kapitalismus, Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeit geworden. Insbesondere in Lateinamerika ist sein Bild in unseren Tagen bei den Bewegungen und Ländern, die sich der US-Vorherrschaft und dem Neoliberalismus entgegenstellen, präsent.

Natürlich gibt es große – vor allem weltanschauliche – Unterschiede zwischen Che Guevara und General Qassem Soleimani. Während der Wahlkubaner ein überzeugter Marxist-Leninist – und damit Atheist – war, war Soleimani tief religiös – er war der Idealtypus eines charismatischen und frommen Kämpfers. Soleimani wurde im Alter von 21 Jahren während der Islamischen Revolution 1979 vom religiösen Feuer ergriffen, seine tiefe Religiosität und Loyalität zu den Idealen der Islamischen Revolution sollten noch für sein ganzes Leben bestimmend werden. Über den Beginn seiner revolutionären Karriere äußerte er sich wie folgt: „Meine revolutionären Kämpfe begannen, als ich eine Rede des Märtyrers Kamyab hörte.“[1]

Neben diesen Unterschieden gibt es jedoch auch viele Gemeinsamkeiten. Beide verfügten zweifellos über Charisma und schonten sich selbst nicht bei Kampfhandlungen. Sie zeichneten sich durch persönliche Tapferkeit im Kampf und militärisches Talent aus. Des Weiteren verstanden sich beide als selbstlose Kämpfer gegen die Unterdrückung, auf der Seite der Ausgebeuteten und Entrechteten.

So wird einer der Grundzüge des revolutionären Selbstverständnisses von Soleimani darin deutlich, eine „Stimme der Unterdrückten“ sein zu wollen und den Unterdrückten überall zu helfen, wo er nur konnte.[2] Auf diese Weise verstand er auch den Islam, sodass er das Eintreten für Gerechtigkeit für seine Pflicht hielt, wie es im Quran heißt: „Wir haben unsere Gesandten mit den deutlichen Zeichen gesandt und mit ihnen das Buch und die Waage herabkommen lassen, damit die Menschen für die Gerechtigkeit eintreten. (...)“ [Heiliger Quran, 57:25]

Und wie der argentinisch-kubanische Revolutionär in Lateinamerika zur Symbolfigur für den Kampf gegen Imperialismus und Ungerechtigkeit wurde, konnte Soleimani dies in der islamischen Welt werden.

In völliger Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse war in den deutschen Medien kurz nach der Ermordung Soleimanis noch die Rede davon, dass die Iraner den Tod Soleimanis mehrheitlich heimlich feiern würden. Offenkundig war man ein Opfer der eigenen Propaganda geworden. Die vielen Millionen Menschen, die im Iran danach ihre Trauer um und Verbundenheit mit Soleimani ausdrückten, brachten diese Stimmen schnell zum Verstummen. Heute ist Soleimani im Iran ein Nationalheld – er hat das Land sogar geeint, sodass sich heute manche nur darüber wundern, wie der Iran trotz der harten Sanktionen noch immer nicht aufgegeben hat. Er gilt aber nicht nur dort, sondern ebenso beispielsweise bei den Schiiten im Irak oder im Libanon als Held, was die großen Trauerkundgebungen auch nach über einem Jahr nach seiner Ermordung verdeutlichen. Selbst zahlreiche Christen im Libanon und in Syrien wissen, was sie Soleimani zu verdanken haben: Ohne seinen Einsatz würde heute im Libanon ein Krieg geführt werden, Syrien wäre zu einem zweiten Libyen geworden und der IS hätte wahrscheinlich den Irak unter seine Kontrolle gebracht. Bei den Sunniten im Irak, die von außen zum Hass gegen die Schiiten aufgestachelt wurden, gibt es weiterhin Vorbehalte, doch auch das beginnt sich – wie in der arabischen Welt insgesamt – zu verändern. Die Ursachen liegen hier vor allem in der von vielen als kapitulationistisch aufgefassten Politik vieler arabischer Staaten, die offenbar ihre palästinensischen Brüder und Schwestern vergessen und verraten haben. Somit ist ein guter Nährboden dafür bereitet, der das Bild Soleimanis als Freiheitskämpfer und Kämpfer gegen Unterdrückung zum Erstrahlen bringen könnte.


Freiheitskämpfer?

Sowohl Che Guevara als auch General Soleimani werden von ihren Anhängern als „Freiheitskämpfer“ betitelt. Für den in der deutschen Medienlandschaft lebenden Durchschnittsdeutschen mag dies verwunderlich erscheinen, sprechen doch die „Qualitätsmedien“ von „Terroristen“.

Dies ist aber in Wirklichkeit nicht besonders verwunderlich. Der frühere US-Präsident Ronald Reagan, der unter anderem die „Contras“ in Nicaragua unterstützte, äußerte sich einst wie folgt: „Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer.“[3]. Die von den USA unterstützten Gruppen (wie beispielsweise die „Contras“ in Nicaragua oder die Mudschaheddin in Afghanistan von 1980 bis 1988, also in der Zeit, in der sie gegen die Sowjetunion kämpften) waren für den Westen natürlich „Freiheitskämpfer“, obwohl im Contra-Krieg 1981-1990 ca. 60 000 Zivilisten von den Contras ermordet wurden und Folterungen und Entführungen zweifelsfrei festgestellt wurden.[4] Als sich Kämpfer in Afghanistan gegen den Westen wandten, wurde aus den Freiheitskämpfern Terroristen.

Ähnlich verhält es sich mit General Soleimani. Als sich die Interessen des Westens noch mit den Einsätzen Soleimanis deckten, waren die USA (gegen die Taliban in Afghanistan und den IS im Irak) sogar zu einer gewissen Kooperation bereit. In der Großoffensive auf der vom IS besetzten Stadt Tikrit (der Heimatstadt Saddam Husseins im Irak) im März 2015 übernahm Soleimani das Kommando über die schiitische Badr-Brigade. Diese Offensive gilt als der bis dahin größte Angriff gegen den IS.[5] Der Angriff war erfolgreich und war der erste große Rückschlag für den IS. Kein Geringerer als der damalige US-Außenminister John Kerry erkannte übrigens damals öffentlich die Verdienste Soleimanis bei der Befreiung Tikrits an – die Rolle des Mannes bei der Bekämpfung des IS, den sie heute als Terroristen schmähen.[6]


Warum gilt er dann heute im Westen als der böse Terrorist?

Bei der Verwendung des Begriffs „Terrorismus“ ist es von eminenter Bedeutung, diesen Terminus zu definieren. Doch wie schwierig eine solche allgemein anerkannte Definition ist, zeigt sich unter anderem daran, dass man sich bei einem UN-Gipfel im September 2005 auf keine allgemein verbindliche Definition von Terrorismus einigen konnte. Und so stellt auch der „Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages“ in seiner Ausarbeitung zum Thema „Terrorismus: Definitionen, Rechtsgrundlagen und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung“ aus dem Jahr 2009 Folgendes fest: „Eine allgemein gültige und akzeptierte Definition des Terrorismus lässt sich nicht finden. Darüber existieren unterschiedliche Sichtweisen. Insbesondere ist die Grenze zwischen den Begriffen Terrorismus und Freiheitskampf oft fließend. Laut des Zweiten Periodischen Sicherheitsberichts der Bundesregierung vom 15. November 2006 ist Terrorismus ‚nicht Ausdruck einer spezifischen Kultur, er ist zunächst ein extremes politisches Kampfmittel. Terrorismus ist eine Strategie des Kampfes, die Staatsgewalt bzw. Besatzungsmacht herauszufordern und dadurch Solidarisierungswellen in den Bevölkerungsgruppen zu provozieren, als deren Avantgarde sich die Akteure verstehen. Unmittelbares Ziel ist nicht der Sieg, sondern die Verbreitung von Schrecken und Furcht…‘ In einigen Bundesgesetzen, neuerdings auch im Grundgesetz, wird die Erscheinung des Terrorismus erwähnt. Was darunter zu verstehen ist, wird jedoch nicht bestimmt.“[7]


Soleimanis Beitrag bei der Zerschlagung der Terroristen

In Syrien wollte und will der Westen einen Regime-Change erreichen, da Assad als Verbündeter des Irans, Gegner Israels und Unterstützer der Hizbullah im Libanon gilt. Es ist hier nicht möglich, den Syrien-Krieg ausführlich darzustellen. Im Folgenden nur einige Fakten zum besseren Verständnis. Den Hauptgrund für den Syrien-Krieg sieht der Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser darin, dass die USA den Sturz von Assad wollen.[8] Um diesen Regime-Change durchzusetzen, schreckte man auch nicht davor zurück, Gruppierungen zu unterstützen, die eine Ideologie vertreten, die man in den eigenen Ländern zu bekämpfen vorgibt. Der Westen bediente sich in Syrien militanter Dschihadisten, um Assad stürzen zu wollen: „Auf den ersten Blick ist es für Christen in Europa und in den USA nicht glaubhaft, dass NATO-Länder Dschihadisten trainierten und mit Waffen versorgten… Doch die historischen Daten zeigen, dass genau dies passiert ist, mit dem Ziel, Assad zu stürzen.“[9] Ein 2015 publik gewordenes DIA-Dokument beweist dies eindeutig, „der Inhalt“, so Jürgen Todenhöfer, „verschlägt einem die Sprache“, denn es beweist, dass NATO-Länder mit den Gruppen kooperieren, die den Bürgern ihrer Länder als die Teufel unserer Zeit, aber zugleich als Vertreter des Islams verkauft werden.[10] Der berühmte amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh, der unter anderem das Massaker der US-Armee in My Lai (während des Vietnam-Krieges) und den Folterskandal in Abu Ghuraib aufgedeckt hatte, kam nach der Sichtung von Wikileaks-Akten 2016 zu dem Ergebnis, dass die USA schon seit Jahren die Destabilisierung Syriens betrieben.[11] In der Folge musste „Assad als neuer Hitler diffamiert werden, abweichende Stimmen … wurden unterdrückt. Seit Kriegsausbruch 2011 wurden in westlichen Medien ‚massive Falschinformationen‘ über Syrien verbreitet, um Assad zu dämonisieren und den Krieg in den NATO-Ländern zu verkaufen“, kritisiert der Journalist Helmut Scheben, der 16 Jahre für das Schweizer Fernsehen SRF gearbeitet hatte. „Viele Berichte von CNN, ZDF und Spiegel stützen sich einseitig auf die undurchsichtige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte … von Osama Ali Suleiman, der unter dem Pseudonym Rami Abdul Rahman ein ‚PR-Büro der Assad-Gegner‘ betrieb und aus einem Reihenhaus in Coventry nördlich von London Geschichten zu Syrien in die Welt verschickte.“[12]

General Soleimani wird die Entwicklung eines militärischen Plans zugeschrieben, um das Blatt im Syrienkrieg endgültig zu wenden. Soleimani wusste, dass seine Bodenoperationen ohne Luftunterstützung letztlich erfolglos blieben. Letztere konnte der Iran aber nicht leisten. Aus diesem Grund ist er im Sommer 2015 nach Moskau gereist und hat dort seinen Plan vorgestellt. In den Gesprächen sollte die russische Führung davon überzeugt werden, sich für militärische Operationen in Syrien gegen IS-Terroristen und deren Verbündete zu entscheiden. Dabei sollen russische Bedenken gegenüber einer Intervention in Syrien besprochen worden sein. Nach Aussagen des Hizbullah-Generalsekretärs Nasrallah in einem Interview mit Al Mayadeen hat Soleimani allein mit Präsident Putin zwei Stunden über den erforderlichen russischen Einsatz in Syrien gesprochen.[13] Schließlich erklärte sich Russland im Herbst 2015 bereit, in Syrien militärisch zu intervenieren. Soleimani trägt somit einen entscheidenden Anteil daran, dass sich das Blatt in Syrien wendete und der IS zerschlagen werden konnte.

Nach der Logik von Reagan ist er dann natürlich kein „Freiheitskämpfer“ (wie die „moderaten Rebellen“ in Syrien für den Westen) mehr, sondern eben der Feind und daher ein „Terrorist“. Das wird ihm nicht verziehen werden. Was diese heuchlerische Politik für die Christen, Alawiten oder Schiiten im Libanon und in Syrien bedeutet, interessiert die politisch Verantwortlichen offenbar nicht im Geringsten.

Der Einsatz Soleimanis erfolgte allerdings auch in Syrien auf offizieller Einladung der legitimen syrischen Regierung und damit im Einklang mit dem Völkerrecht – ganz im Gegensatz zu der Anwesenheit der Truppen westlicher Staaten, die sich entgegen dem Willen der legitimen Regierung Syriens im Land befinden und sich noch dazu der Rohstoffe des Landes bemächtigen. So äußerte US-Präsident Trump im November 2019 ganz unverhohlen, dass die verbliebenen US-Truppen in Syrien nur die Aufgabe hätten, das Erdöl zu konfiszieren: „Wir behalten das Öl, wir haben das Öl, das Öl ist sicher, wir haben Truppen nur für das Öl zurückgelassen.“[14] Man ist fast versucht, ihm angesichts der Heuchelei derer, die ständig die Menschenrechte anführen, um militärische Interventionen zu rechtfertigen, für diese offenen Worte zu danken.

 

1 Soleimani, Qassem, zitiert nach https://tinyurl.com/yyo4mfa4 ↩︎

2 Vgl. Azizi, The Shadow Commander, S. 252 ↩︎

3 Originalzitat: „One man’s terrorist is another man’s freedomfighter.“ ↩︎

4 Vgl. Ganser, Illegale Kriege 2016, S. 148 ff. ↩︎

5 Birgit Svensson: Die Schlacht um Tikrit beginnt in: Weser Kurier. 4. März 2015, zuletzt abgerufen am 4. Januar 2022. ↩︎

6 Samia Nakhoul: Iran weitet seine Macht vor der Atom-Einigung aus, Reuters, 25. März 2015, zuletzt abgerufen am 4. Januar 2022. ↩︎

7 Quelle ↩︎

8 Vgl. Ganser, Illegale Kriege 2016, S. 287 ↩︎

9 Ebenda, S. 295 ↩︎

10 Ebenda, S. 297 ↩︎

11 Seymour Hersh: Die Akte Assad. Cicero, 28. April 2016 ↩︎

12 Ganser, Illegale Kriege 2016, S. 287 ↩︎

13 Vgl. Laila Bassam, Tom Perry: How Iranian general plotted out Syrian assault in Moscow. Reuters, 6. Oktober 2015, abgerufen am 12. Januar 2021. ↩︎

14 US-Präsident Trump zitiert nach „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/trump-ueber-einsatz-in-syrien-us-soldaten-konfiszieren-erdoel-16485328.html ↩︎

 

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